erschienen in Herdfeuer Heft 12, die Zeitschrift des Eldaring e.V.

 

In den Mythologien verschiedener alter Kulturen lieben die Götter den „wütenden“ Krieger. Die heutige Gesellschaft aber sieht den Kriegerpathos generell als ein Überbleibsel aus einer vergangenen Periode der Geschichte an und steht somit Begriffen wie „Kampfeszorn“ und „Heiliger Wut“ eher kritisch gegenüber.

Auch in spirituellen und heidnischen Kreisen wird die moderne Definition des Kriegers oftmals reduziert auf einen „esoterischen Kämpfer des Lichts und der Liebe“, frei von jeglichem Zusammenhang mit Wut und Aggression. Aber sind nicht  grade das wesentliche Bestandteile des Kriegerbegriffes, damals wie heute?

In unserem nordisch-germanischen Weltbild ist der Archetyp des rasenden Kriegers natürlich untrennbar mit Wotan und seinen Aspekten als Kriegsgott verbunden.

Allein schon bei der Betrachtung der Wurzeln seines Namens fällt unmittelbar auf:

Woðanaz bedeutet „der Wütende“ und das Wort óðr (Wurzel für Odin) steht im Altnordischen für „inspirierte Wut“. Auch die sprachliche Abstammung der altenglischen Bezeichnung Woden und den althochdeutschen Ausdruck Wuotan finden wir in „wild und wütend“.

„Wodan id est Furor“ lautete im 11. Jahrhundert eine treffende Aussage des Klerikers und Theologen Adam von Bremen.

Und Hermann Schneider definierte Ende der dreißiger Jahre diesen Persönlichkeitsanteil des Allvaters in seinem Werk  „Die Götter der Germanen“

wie folgt:

„Wodan ist uns keine alte Elementarmacht, kein Naturgott Sturm. Aber das Entstehen der Gestalt wird nie begreifen, wer nicht das nächtliche Wogen und Sausen in Wald und Gebirge, die Stimmung der Sturmnacht auf Feld und Meer kennt und den starken Drang des Menschen mitfühlt, hinter dieser Macht einen Mächtigen, hinter dieser Raserei einen Rasenden zu sehen.“

Es ist die Erregung die einen erheblichen Wesenszug dieses Gottes ausmacht.

Die wohl geläufigste Erscheinungsform dieses Wesenzuges ist die Wilde Jagd, die in verschiedenen Varianten in zahlreichen Regionen Nord- und Mitteleuropas bekannt ist. Eine Volkssage, die zwar in der Edda nicht auftaucht, die aber gerade in Deutschland, Österreich und der Schweiz tiefe Spuren im Brauchtum und im Volksglauben hinterlassen hat.

Von Wotan angeführt [1] jagt die aufgepeitschte Horde des Wilden Heeres in den Rauhnächten mit furchtbarem Getöse über das Land und nimmt alles Alte und Verbrauchte mit.

In engem Zusammenhang mit den „wütenden“ Eigenschaften des einäugigen Gottes steht natürlich auch die ekstatische Raserei der Berserker. Die Mitglieder dieser nordischen Kriegerkaste stürzten sich in der Schlacht voller Todesverachtung  auf die feindlichen Reihen und  machten alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Diese Elitekrieger werden in den Sagas oft in Verbindung mit Harald Schönhaar (860-933), dem Gründer des norwegischen Reiches genannt. Nach der Überlieferung zeichneten sich die dreinschlagenden Horden mit der stürmischen Kampfeswut vor allem in der Schlacht am Bocksfjord (872) aus. Auch soll die Leibwache Harald Schönhaars ausschließlich aus diesen Elitekriegern bestanden haben.

Es gibt verschiedene Erklärungsversuche für die berühmte Berserkerwut. Eine einfache und schlüssige These ist, dass die „Bärenfellträger“ durch Kampfesgeschrei, rhythmischem Klopfen auf  ihren Schildern und anderen archaischen Ritualen die körpereigenen Neurotransmitter aktivierten. Dieser rauschartige Zustand steigerte

sich noch einmal durch das gemeinschaftliche und gleichzeitige Ausführen dieser Handlungen. Auf diese Weise entstand dann die Dynamik der kollektiven Raserei. Da in diesem Zustand das Schmerzempfinden ausgeschaltet ist, lässt sich jemand, der einen „Tobsuchtsanfall“ hat, kaum stoppen. Verletzungen werden zwar registriert, aber zu großen Teilen ignoriert. Körperliche Einschränkungen haben im Augenblick des Anfalls nur noch teilweise Einfluss auf die Handlungen. Die Überlastung erreicht irgendwann ihren Höhepunkt, aus medizinsicher Sicht endet so ein Anfall meist durch kollabieren.

Zum Teil wird die Ansicht vertreten, dass die Berserker unterstützend Drogen benutzten um in den Kampfesrausch zu gelangen. Besonders die im Fliegenpilz enthaltene Substanz  Muscimol wird in diesem Bezug des öfteren genannt.
Und eine weitere Theorie, der ich persönlich kritisch gegenüber stehe, führt als mögliche Ursache für Berserkertum das  "Paget-Syndrom" an, eine Erbkrankheit, bei der das Knochenwachstum außer Kontrolle gerät. So soll der isländische Dichter Egil jähzornig, bösartig und unbesiegbar gewesen sein, wie schon sein Vater und sein Großvater. Sein Kopf soll so massiv gewesen sein, dass er sich nach Egils Tod selbst mit der Axt nicht spalten ließ.

Wie auch immer, der eigentliche Mut der Berserker war ihre Wut. Und auf Grund dieser waren sie gefürchtet. Ihr Leben war dem Kriegsgott Wotan/ Odin geweiht und ihre zerschmetternde Kampfeswut von diesem inspiriert.

Interessant ist in diesem Zusammenhang einmal zu erwähnen, dass andere Kulturen und Religionen oftmals eine komplett andere Perspektive auf die Wut haben.

Als prägnantes Beispiel für eine der nordisch-germanischen Sicht in diesen Punkten entgegengesetzte  Betrachtungsweise führe ich hier einmal den Zen-Buddhismus auf.

So meinte der  Zen-Meister San Seong Do in seinem Vortrag 2004 in Berlin:

"Das Unglück in der modernen Welt entsteht, weil man Ärger und Wut nicht unter Kontrolle hat. Deshalb ist  es die Aufgabe aller Religionen, dem Menschen beizubringen, Ärger und Wut nicht mehr zuzulassen. Im Zen-Buddhismus geschieht dies durch eine Art kontinuierliche Innenschau, die alles begleitet, was man tut – ein ständiges Bemühen darum, sich seiner selbst gewahr zu werden und negative Emotionen im Keim aufzulösen.“

Das ist eine mögliche Sicht auf  das Leben, die sicherlich als eine unter vielen in ihrem Kontext eine Berechtigung hat. Doch die oft vorgenommene Gleichsetzung von Wut und Destruktivität erscheint mir in vielen Situationen unzutreffend. Wut kann auch konstruktiv sein, nämlich dann wenn damit Barrieren überwunden und so wieder Entwicklung möglich wird. Die Verdrängung von Wut äußert sich im heutigen Zeitalter oft in Depressionen und verschiedenen anderen psychosomatischen Symptomen.

Wer sich auf seinen „wütenden Archetyp Krieger“ einlässt und sich diesen Aspekten mit ihren Kräften stellt, geht einen großen Schritt. Er stellt sich bewusst und gezielt den verdrängten Seiten seiner Persönlichkeit (und unserer Kultur!).

Diese Anteile würden sonst möglicherweise irgendwann umso impulsiver an die Oberfläche drängen.

Denn die Faszination der Gewalt ist auch in der modernen Gesellschaft allgegenwärtig. Der Normalbürger versucht sein latentes Gewaltpotential in erster Linie durch die Identifikation mit den martialischen Helden diverser brutaler Hollywood-Schinken auszuleben.

Jugendliche, die eher das Exzessive und Verbotene  suchen, finden die nötigen Ventile zur Erfüllung ihrer kriegerisch-archaischen Bedürfnisse oftmals im subkulturellen Rahmen der Straßengangs, Hooligans und Antifa-Kämpfer etc.. Das sind natürlich nur oberflächliche Beispiele. Jeder, der sich mit einigermaßen offenen Sinnen in der täglichen Realität bewegt, wird bestätigen:

Eine vollständige Aufzählung der gesamten Bandbreite der –wie auch immer- geprägten oder gar entarteten Gewalt ist kaum noch möglich.

Dem ungeachtet darf die Wut in der heutigen Welt nicht mehr zu einem totalem Verlust der Kontrolle führen und das Rad der Gewalt sich nicht unsteuerbar nach außen richten.

In Island wurde übrigens schon um 1120 ein Gesetz erlassen, in dem es heißt: " Wer sich in Berserkerwut versetzt, wird mit drei Jahren Verbannung bestraft."

Wir können die Verhaltensweisen und Ausdrucksarten der Berserker nur sehr eingeschränkt übernehmen.

Aber wir haben genügend Spielwiesen um unsere Aggressionen konstruktiv und in angemessenen Bahnen ausleben zu können.

Die Art und Weise ist dabei von der eigenen Persönlichkeit abhängig und das Spektrum der Möglichkeiten sehr weit. Der eine findet beispielsweise die Befriedigung seiner archaischen Kriegerpersönlichkeit beim reglementierten Faustkampf im örtlichen Boxverein, während der andere seine wütende Kreativität  zum künstlerischen Erschaffen bleibender Werke nutzt.

Der 80jähirge Maler Bernhard Heisig, Maler in einem Interview:

"Mich interessieren Konfliktsituationen und ich brauche die Reibung. Wenn ich keine Wut mehr hätte, wäre ich schon tot. Insofern bin ich dankbar über diese Wut, sie erhält mich am Leben. Es ist die Wut über die Arbeit, nicht über den Stoff. Ich bin eitel und denke, ich kann es immer noch besser machen. Später merke ich dann. Hätte ich doch früher aufgehört. Der Malprozess ist ein ständiges Hin und Her. Wenn es nicht klappt, bin ich wütend und manchmal verzweifelt, aber wenn es klappt, gibt es nichts, was daran heranreicht. Das ist dann das Glück. Aber das ist selten."

Fazit: Der Berserker oder der "Furor Teutonicus" lassen sich nicht in die Gegenwart übertragen. Aber wir können  Wut als eine sinnvolle Energie betrachten, die dem Fluss des Lebens folgt und der Erstarrung und Gleichschaltung entgegenwirkt. Und die uns in dem ständig auszufechtenden Kampf um unsere geistige Freiheit unterstützt. Eine Urkraft, die tief in unseren Seelen wohnt und ungeahnte Kräfte entfesseln kann.

 


[1] in einigen Gebieten wir die Wilde Horde von der Perchta oder Hulda (Holle) angeführt